Der Pott bebt

Erdbeben im Ruhrgebiet

Am frühen Morgen gibt es plötzlich einen dumpfen Knall. Für einen Moment wackeln die Wände, der Dachstuhl bebt. Rolläden poltern gegen die Fenster, Gläser und Geschirr im Schrank klirren, Betten und Regale bewegen sich rappelnd von der Wand. Nach ein paar Sekunden ist alles vorbei. So berichten Augenzeugen von einem Erdbeben, dass sich am 28. Mai 2016 in Bottrop-Kirchhellen ereignete.

Kleinere Erdbeben sind im Ruhrgebiet seit Jahrzehnten immer wieder zu beobachten. Jedoch sind die meisten kaum spürbar und nur die wenigsten richten tatsächlich Schäden an. Das Beben in Botrop-Kirchhellen hatte eine Stärke von 3,3 und war bis nach Gelsenkirchen und Oberhausen noch spürbar. Damit war es eines der stärksten Erdbeben der vergangenen Jahre.

Den Beben auf der Spur Nach Oben


Das Seismologische Observatorium in Bochum misst die Erschütterungen seit den 1980er Jahren - zunächst nur von Bochum aus. Später kamen dann auch Messstationen an den aktiven Zechen dazu. Denn ein Großteil der Beben wird durch den Bergbau verursacht, erklärt Dr. Kasper Fischer, Leiter des Observatoriums.

Die Karte zeigt alle Beben ab einer Stärke von 0,8, die seit 1983 gemessen wurden. Schwächere Beben können die Wissenschaftler in Bochum nicht verlässlich messen. Die Messungen wurden genauer, als nach und nach weitere Messtellen an den Zechen installiert wurden. Außerdem können die Wissenschaftler seither auch die Tiefe der Beben berechnen.

Die Mikrobeben finden in Tiefen von circa 1000 bis 1500 Metern statt - dort wo auch die Kohle abgebaut wird. Das Zentrum von natürlichen Beben liegt im Gegensatz dazu oft in Tiefen von 10 bis 15 Kilometern. Die geringere Tiefe sogt dafür, dass auch kleinere Beben an der Oberfläche noch spürbar sind. Die Wissenschaftler unterscheiden deshalb zwischen Magnitude und Intensität.

Die Magnitude gibt an wie stark das Erdbeben an dem Ort war, an dem es ausgelöst wurde. Wie stark das Erdbeben an der Oberfläche zu spüren ist, hängt aber unter anderem auch von der Entfernung zum Epizentrum, der Tiefe des Bebens und der Bodenbeschaffenheit ab.

Wie sich ein solches Mikrobeben aus nächster Nähen anfühlt, zeigt die folgende Skala. Sie beschreibt die Auswirkungen einzelner Beben direkt über dem Epizentrum. Der Großteil der Erdbeben ist gerade eben spürbar, nur wenige Beben erreichen einer Stärke von 2 oder höher. Gebäudeschäden sind erst bei Magnituden über 4 zu erwarten.

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Ursache Bergbau Nach Oben


Der Bergbau setzt die Erde um die Schächte herum stark unter Spannung. Wenn diese Spannungen zu groß werden, kommt es zu Brüchen in der Erde. An den Bruchstellen verschieben sich Erdschichten von einigen Metern Dicke um ein paar Millimeter gegeneinander. Diese Verschiebung ist der Ursprung der Erdbeben. Die Mikrobeben sind also eine direkte Folge des Bergbaus. Die zeitliche Verteilung der Erdbeben macht das besonders deutlich.



Am Wochenende - wenn weniger oder gar nicht gearbeitet wurde - geht die Anzahl der Erdbeben stark zurück. Zur Wochenmitte hin, nehmen die Beben wieder zu. Genauso ist die Zahl der Erdbeben in den frühen Morgenstunden gering. Mit einer Verzögerung von wenigen Stunden nimmt die Anzahl der Beben also ab, wenn nicht oder nur wenig gearbeitet wird.

Kein Bergbau - keine Beben Nach Oben

Der starke Zusammenhang zwischen dem Bergbau und den Erdbeben zeigte sich auch, als das Bergwerks Ost bei Hamm 2015 den Betrieb einstellte. Innerhalb einer Monate gingen die Erdbeben fast vollständig zurück. Zuvor war die Region um Hamm ein regelrechter Erdbeben-Hotspot gewesen. Die Schließung der letzten Zeche im Ruhrgebiet, Prosper-Haniel, ist für 2018 geplant. Daraufhin werden wohl auch die Erdbeben irgendwann verschwinden.

Zuvor könnte der geplante Grubenwasseranstieg jedoch zunächst noch einmal für mehr Erdbeben sorgen. Derzeit pumpt die Ruhrkohle AG, an mehreren Stellen im Ruhrgebiet Grubenwasser aus den Schächten der bereits stillgelegten Zechen. Dabei muss das Grubenwasser teils aus 1.000 Metern Tiefe gefördert werden.

Nachdem Prosper-Haniel den Betrieb eingestellt hat, soll das Grubenwasser vieler ehemaliger Zechen im mittleren Ruhrgebiet zusammenfließen und nur noch an einer Stelle im Süden abgepumpt werden. Dadurch spart die RAG viel Geld. Denn die Schächte der südlichen Zechen reichen weniger tief als die der nördlichen. Entsprechend muss das Grubenwasser dort nur um 500 Meter angehoben werden. Wenn nun auch das Wasser der nörlichen Zechen dort abgepumt werden soll, muss der Wasserspiegel des Grubenwassers auf das Niveau der südlichen Schächte angeglichen werden.

Der Grubenwasseranstieg ist umstritten. Einige Bürgerverbände fürchten um die Qualität des Grundwassers. Das befindet sich in Erdschichten weit oberhalb der Schächte - und damit des Grubenwassers. Die Befürchtung ist, dass das Grundwasser durch den Anstieg mit dem Grubenwasser in Kontakt kommen könnte. Das würde die Wasserqualität beeinflussen, da das Grubenwasser mehr Salze und unter Umständen Schadstoffe enthält. Zu einer Vermischung des Grubenwassers mit dem Grundwasser könne es jedoch nicht kommen, erklärt Tassilo Terwelp. Bei der Bezirksverwaltung Arnsberg, der Aufsichtsbehörde für den Bergbau im Ruhrgebiet, ist er für das Thema Grupenwasserantieg verantwortlich.

Der Anstieg könnte jedoch dazu führen, dass sich der Boden um wenige Zentimeter hebt. In den Abbaugebieten hat sich die Erde über die Jahre oft um mehrere Meter abgesenkt - auch eine Folge des Bergbaus. Sollte das ansteigende Wasser den Boden um die Schächte aufschwämmen, wären neue Spannungen in den Erdschichten rund um die Schächte die Folge. Diese könnten wiederrum zu erneuten Mikrobeben führen.

Eine ähnliche Entwicklung konnte im Saarland beobachtet werden. Jedoch geben sowohl Terwelp, als auch Fischer vom Seismologischen Observatorium zu bedenken, dass der Effekt im Ruhrgebiet kleiner sein dürfte. Grund dafür sei die Emscher Sole: eine elastische Erdschicht zwischen der Oberfläche und der karbonhaltigen Erdschicht, in der die Kohle abgebaut wird. Eine solche Schicht gibt es im Saarland nicht.

In jedem Fall dauert es noch ein paar Jahre bis im Erdreich unter dem Ruhrgebiet endlich Stille einkehrt. Bis dahin heißt es: Der Pott bebt!

Methodik Nach Oben

Dieses Projekt entstand im Rahmen eines Seminars an der TU Dortmund in Kooperation mit den Ruhr Nachrichten.

Die verwendeten Daten wurden vom Seismologischen Observatorium der RUB zur Verfügung gestellt und wurden von uns auf Github hochgeladen.

Die Messdaten der Erdbeben lagen in zwei getrennten Datensätze vor. Dabei enthielt der erste Datensatz die Daten von 1983 bis 2014 und der zweite die Daten von 2014-2016. Zunächst wurden diese deshalb mit Hilfe von Excel und dem statistischen Programm zur Datenauswertung, namens R, angepasst und zusammengefügt.

Des Weiteren wurden die Messpunkte von Erdbeben mit einer Magnitude von weniger als 0,8 aus den Daten entfernt. Die Messgeräte können Erdbeben mit so kleinen Magnituden nur unzuverlässig erfassen.

Die Erdbebenkarte wurde daraufhin mit Carto.com erstellt.

Mithilfe der statistischen Programmiersprache R und RStudio wurden die Ursprungsdaten unter anderem um die Spalte “Wochentage” ergänzt. Außerdem wurde mit R das Zeitformat angepasst. So konnten die Histogramme der Erdbebenhäufigkeit über den Wochen- und Tagesverlauf erstellt werden. Beide wurden mit Hilfe von Highcharts.com visualisiert. Gleiches gilt für das Histogramm über die Magnitudenhäufigkeiten

Die zugehörige Skala wurde als SVG mit dem freien, open-source Vektorgrafikeneditor "Inkscape" erstellt und mit dem wunderbaren jQuery-Plugin "tooltipster" mit Tooltips versehen.

Weiterführende Informationen und Hilfe bei Schäden: Nach Oben

Bürgerinformationsdienst der RAG
Bergbaufolgen Regierungsbezirk Arnsberg
Jens Skapskis Erdbebennews

Quellen

Erdbebendaten:

Seismologisches Observatorium der Ruhr-Universität Bochum

Interviewpartner:
Dr. Kasper Fischer - Leiter des Seismologischen Observatoriums der Ruhruniversität Bochum
Jens Skapski - Seismologisches Observatorium der Ruhruniversität Bochum
Tassilo Terwelp- Bezirksregierung Arnsberg
Ulrich Hoppe - Bezirksregierung Arnsberg